"Im Kopf sind die wahren Abenteuer" oder "Gedanken beim Mountainbiken in den Wäldern und Hügeln des Steirischen Vulkanlandes"
Eine lange Geschichte einer kurzen Biketour; nur etwas für Leseratten :-)
Unterwegs mit meinem geölten und mit Babyfeuchttüchern geputzten Bike lasse ich die letzten Häuser hinter mir und tauche ein in die Ruhe und Abgeschiedenheit des Waldes.
Das gefederte Rad passt sich den Bodenverhältnissen optimal an, im flotten Tempo radle ich dahin – das Laub raschelt unter meinen "Rocket Ron" - Spezialreifen, hin und wieder spritzt ein kleiner Stein zur Seite. Das Knirschen der Reifen im feinen Schotter erzeugt eine eigenartige Stimmung, während die Sonne zwischen den Baumwipfeln hervorblinzelt.
Mit gekonnter Nasenatmung – jetzt im flachen Gelände geht das noch – sauge ich die Waldluft in mich hinein und bleibe kurz stehen, um die Stille in mich aufzunehmen.
Hoch von den Baumkronen gelangt Vogelgezwitscher zu meinen Ohren - ich nehme wieder Fahrt auf; höre jetzt nur mehr das Surren der geölten Kette, ab und zu unterbrochen vom Einrasten der gut eingestellten Schaltung.
Dann der obligate Griff zur (Rad)flasche; ein paar Schluck sollte ich mir schon genehmigen – bevor es bergauf geht zum höchsten Punkt des Hügels.
Bereits vorausgeeilt sind meine Gedanken: werde ich heute das letzte steile Stück schaffen oder muß ich aus dem Sattel und mein Rad schieben?
Ein bekanntes Sprichwort lautet: Wer sein Rad liebt, der schiebt - trotzdem will ich der Aussage meiner Frau nicht unbedingt recht geben: "Du pflegst dein Rad mehr als unsere Beziehung" - abgesehen davon müsste ich dann drei Freundinnen haben, da ich drei Räder besitze (Mountainbike – Tourenbike – Rennrad). Also bin ich fest entschlossen und glaube daran (der Glaube versetzt bekanntlich Berge - auch Hügel ?), die steile letzte Rampe im Sattel zu schaffen (obwohl mich meine Frau ja gar nicht dabei beobachten kann, weil sie gar nicht da ist).
Es wird steiler und der Waldweg holpriger, sodaß meine Gedanken zurückkehren zur Gegenwart - die Schaltung betätigen und mit Gefühl über Steine und Wurzeln lenken.
Langsam geht meine Nasenatmung zur Mundatmung über, der Blick geht weiter voraus und nicht nur die Körperspannung nimmt zu.
Zurückschalten auf den dritten Gang - längst bin ich vorne bereits auf dem kleinen Kettenblatt – mit runden Tritt versuche ich zu pedalieren und beruhige meinen Puls: ich bin gut drauf, ich schaffe meinen "Lieblingshügel".
Körper und Geist sind nun voll konzentriert – das Zwitschern der Vögel höre ich längst nicht mehr; ein kurzer Blick zum Zahnkranz und ich schalte zurück auf den zweiten Gang.
Den letzten Gang, quasi als "Rettungsanker" hebe ich mir noch etwas auf.
Der Waldweg wird nun mit etwa 30% "hochprozentig" – mein Körperschwerpunkt wandert weit nach vor, sodaß ich gerade noch am letzten Sattelspitzerl sitze; Arme und Ellbogen drücken den Lenker nach unten, damit sich mein "Drahtesel" nicht aufbäumt.
Mit Mühe gelingt es mir - diesmal kracht es etwas - auf den "Rettungsanker" zurückzuschalten. Hoffentlich schrecke ich nicht zu viele Waldtiere auf, denn mein "Hecheln" wird lauter, der Blick glasiger und das Gesicht zur Grimasse verzerrt.
Das Brennen in den Oberschenkeln nimmt zu und ich nähere mich meinem Maximalpuls.
Nur noch wenige Pedalumdrehungen und ich habe das steilste Stück geschafft - jetzt wird es etwas flacher und nach etwa 30 Metern bin ich am höchsten Punkt des Vulkankegels angelangt.
Geschafft! - ich habe das Gefühl, den Großglockner bezwungen zu haben; dabei befinde ich mich gerade mal 598 Meter über dem Meeresspiegel.
Langsam normalisiert sich mein Puls wieder und das Brennen in den Oberschenkeln hat auch nachgelassen - nun kann ich das Glücksgefühl und Erfolgserlebnis erst richtig genießen.
In der verdienten längeren Pause mit Elektolytgetränk und Banane frage ich mich, ob das wohl gesund war, was ich in den letzten drei Minuten mir angetan habe.
Dann beruhige ich mich wieder damit, was uns die Sportbiologie und Trainingslehre lehrt:
ab und zu kann und soll man an seine Grenzen gehen - denn etwa 25 % sind ohnedies durch die "autonome Reserve" geschützt und daher unantastbar (außer man dopt, was für mich bestimmt kein Thema ist).
Nach nahezu vollständiger Erholung kommt nun der schönste Teil der Tour - die Abfahrt.
Vorher noch kurzer Ausrüstungscheck, vor allem Helmkontrolle - los gehts, zunächst aber nicht nur mit hoher Kettenspannung ("gross – gross"), sondern auch mit höchster Körperspannung; denn es geht an die 40% steil bergab (da fährt bestimmt keiner rauf!) und ich will vom Kogelgipfel keinesfalls "runterku(o)geln"!
Im Detail heißt das: beide Bremsen schleifen lassen; mit dem Hintern so weit hinter dem Sattel, dass er fast die Reifen berührt - wie geht gleich der Text in einem bekannten deutschen Schlager: "tausendmal berührt und nichts passiert"?
Mein Bauch (gut, dass ich nicht zuviel davon habe) liegt praktisch auf dem Sattel; mit nahezu gestreckten Armen muß ich das Rad steuern; jeweils zwei Finger genügen zum Betätigen der Scheibenbremsen - jetzt quietschen sie kaum; ist ja kein Wunder, da beide Räder fast vollständig blockiert sind.
Gott sei Dank ist diese "Mutprobe" bald hinter mir - bevor Rad und Fahrer am Waldboden liegen, löse ich die Blockaden im Kopf und an den Bremsen.
Da der Kopf wieder frei ist, fällt mir ein, was ein bekannter deutscher MTB-Autor
("Mountainbike – Trails auf alten Militärstraßen in den Alpen") zu dieser soeben bewältigten
Abfahrt gesagt hätte: "mittelschwerer Downhill" - für Ausnahmebiker reinster Fahrgenuß!
(leider bin ich nun mal kein "Ausnahmebiker").
Für mich beginnt jetzt der eigentliche Genuß der Abfahrt: mit wohl dosiertem Tempo, zentral über dem Rad stehend, voller Körperspannung und trotzdem mit einer gewissen Lockerheit, immer bremsbereit mit zwei Fingern - geht es flott den Hügel bergab.
Die Augen eilen weit voraus - jedoch registriere ich bewusst die vorbeihuschenden Bäume aus den Augenwinkeln (wie nennt man das im Fachjargon - ach ja, "peripheres Sehen" heißt das; kenne ich sogar noch vom Fußballspielen)) - es könnten ja Rehe meinen Weg bzw. ich ihren Weg kreuzen
Beim nun folgenden "Single Trail" mit etwas Wurzeln und Steinen werde ich etwas langsamer - aber auch nicht zu langsam, um nicht das Gleichgewicht zu verlieren.
Jetzt macht sich das viele Gleichgewichtstraining und die vielen "Stehversuche" am Rad doch etwas bezahlt - ich gleite fast mühelos über die natürlichen Hindernisse des Waldes.
Es folgen zwei Spitzkehren bergab - mein Blick geht Richtung Kurvenausgang (brav aufgepasst im Kurs: "die Augen steuern die Richtung") und so stelle ich bei drei entgegenkommenden Wanderern fest, dass nicht jedes "Gewicht gleich" ist. Wie es sich gehört, fahre ich langsam vorbei und grüße freundlich in der Hoffnung, ebenso freundlich behandelt zu werden.
Dann wird der Waldweg breiter, mein Fahrtempo wieder schneller - ein kleiner
(Freuden)sprung mit beiden Rädern ("Bunny Hop") über ein imaginäres Hindernis und ehe es mir richtig bewusst wird, bin ich am Waldrand angelangt.
Eine letzte Pause - bevor ich wieder in die Zivilisation eintrete - nütze ich zum Revuepassieren der letzten beiden Stunden.
Obwohl ich diese Tour schon so oft gefahren bin - jedes Mal kommt sie mir etwas anders vor. Wahrscheinlich liegt es an meiner wechselnden Stimmung oder der Tagesverfassung oder vielleicht auch nur am Wetter oder den wechselnden Bodenverhältnissen.
Zu Hause angekommen bleibt die Erinnerung an eine schöne Ausfahrt - wobei letztendlich vollkommen egal ist, ob ich den Kampf gegen die steile Rampe gewinne oder verliere.
Das Leben besteht nun mal aus Sieg und Niederlage, aus Erfolg und Misserfolg -
entscheidend ist, dass man das, was man tut, mit Freude und Begeisterung tut.
"Es spielt sich Alles im Kopf ab - wir entscheiden selbst, wie dieses Spiel ausgeht"